
Lokalisierungen im industriellen Kontext brauchen eine moderne, künstlerisch-intelligente, flexible und vor allem produktive technologische Basis.
In Analogie zu den vier Industriellen Revolutionen kann man auch die Entwicklung im Bereich Übersetzungstechnologie in vier generellen Phasen beschreiben. Warum sollte man das tun?
1769 – 1870 – 1969
Falls wir uns nicht mehr erinnern sollten – die Auswirkungen schmecken und fühlen wir noch heute: Als im Ausklang des finsteren Mittelalters in Europas Agrarstaaten die Dampfmaschinen angeworfen wurden, war das eines der Präludien zur ersten industriellen Revolution. Ein neuer, hektischer, unerbittlicher Rhythmus bestimmte die Alltage. Die Zigarre wurde zu lang, die Zigarette erfunden – es war nur noch Zeit für die kurzen Genüsse. Englands Städte leuchteten auch nachts im Feuer der Koksöfen, und die Bauern zogen in die Städte, um zu Lumpenproletariern zu mutieren. Als diese Entwicklung auf den Kontinent schwappte, schwang sich einhundert Jahre später das unscheinbare Chemnitz zu einem sächsischen Manchester auf. Berlin bescherte sie mit zwei großen Zuzugswellen einen Quantensprung auf dem Weg zur Metropole.
Nach der ersten Phase folgten ebenso gnadenlos und konsequent Massenfertigung und Fließbandarbeit. Extensiv, rohstoffintensiv, mit mehreren grausamen Versuchen, die Claims neu abzustecken und einigen weltweiten Zusammenbrüchen auf der Transitstrecke. Bis Ende der 60er im Zwanzigsten dauerte diese zweite, elektrische Episode. Dann ging’s drittens los, dass jemand irgendwas mit Computern machte, und in der Industrieproduktion war das die Basis für so einige Automatisierungen.
Drei Bilder und die Vier
Die Dampflok im Beginn, immerhin zu riechen und hören – die Glühlampe als Synonym für ein knisterndes, mystisches Unsichtbares – der Lochstreifen als Erklärung für ein irgendwie ganz und gar abstraktes Etwas: Die technologischen Grundlagen für diese rasanten Änderungen wurden aus menschlicher Sicht immer weniger greifbar. Revolution Nummer Vier dagegen ist ein Kunstgebilde. 2014 ward sie ausgerufen und ist vor allem ein Versprechen in eine Zukunft, in der Produktionsabläufe mittels Informations- und Kommunikationstechnologie auf neue Art vernetzt sind, Systeme zunehmend autark agieren, Mensch und Maschine in einer ganz neuen Beziehungswelt stehen. Industrie 4.0 nennen wir das unter unserem DACH-Dach.
Eine durchaus berechtigte Hauptkritik meint, dass der Kern untendrunter – nach wie vor die Mikroelektronik – nicht neu sei. Vielleicht leben wir aber in einer Zeit, in der auch der Begriff der Technologie neu zu interpretieren sein sollte? Wenn die Industrieprodukte nicht mehr nur bloße Gegenstände sind, sondern auch ihre Repräsentationen in Informationssystemen, Dokumentationen, vielfältigsten Relationen innerhalb der komplexen Wertschöpfungsketten mitgelten, ist eigentlich auch die Technologie, als die Lehre, Produktion zu planen und praktisch umzusetzen, etwas viel weiter zu Fassendes. Könnte man so sehen.
1868 –1984 – 2015 – 2021 :: Im Universum nebenan
Wo man konstruiert, wird auch dokumentiert. Die Sprache war schon immer dabei, seit dem Anfang aller Industrie. Und auch in diesem ganz speziellen Kosmos können wir unsere eigenen vier kleinen Revolutionen finden.
Selbst wenn man den Charakter im 19. Jahrhundert erbrachter linguistischer Dienstleistungen eher mit dem Charme einer verstaubten Manufaktur beschreiben würde – mit der Erfindung der Schreibmaschine wurde das ein bissel anders. Hängen wir deren Geburtsjahr an das Erscheinen eines der ersten serientauglichen Modelle auf dem Markt, so etwa 1868, dann war dieses geniale Gerät über 100 Jahre lang am Start, bis sich durch den Einsatz von PCs eine neue Situation ergab.
Den Zweitknall gab es aber nicht direkt mit dem Siegeszug der Personalcomputer – das war zunächst die Basis für neue Quantitäten – sondern mit dem Beginn der Ära der Translation Memories. Die bescherten tatsächlich eine neue Qualität des Arbeitens. In der ersten Zeit haben einige Leute im Übersetzungsbereich krasses Geld verdient. Immer wieder das fast Gleiche abzuliefern, dafür nur wenige Finger zu rühren, hat einige Nasen golden gepudert. Als dann allerdings die Auftraggeber auf die Idee kamen, die Übersetzungsprozesse in die eigene Hand zu nehmen und die Effizienzen selbst einzulösen, war das wiederum ein gewaltiges Einsparpotenzial auf deren Seite. Und dieser Schritt war viel folgenreicher, als dass jemand nur ein bissel Geld gespart hätte. Das sehen wir weiter hinten.
Den dritten revolutionären Sprung in der Lokalisierungswelt machten die maschinellen Übersetzungskomponenten, als sie endlich den Markt eroberten, und das ist noch gar nicht so lange her. Regelbasierte MÜ-Systeme hatten es über die Jahre selten in die realen Anwendungsszenarien geschafft. Sie konnten zwar gute Texte sehr gut, aber schlechte Texte nur recht schlecht verarbeiten, und das Gros der Texte weltweit ist – aus linguistischer Sicht – nicht so gut. Erst mit dem Einzug neuronaler Technologie gab es endlich Ergebnisse, die der Maschinellen Übersetzung zur ersehnten Akzeptanz verhalfen. Im großen Stil ist das erst um 2015 herum geschehen.
Neue Optionen
Künstlerische Intelligenz
Im Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz bei Hans Uszkoreit hatte ich die erste Begegnung mit dem Konzept Industrie 4.0, und die bescherte mir eine Mischung aus Faszination und Grusel: Man gibt einer Maschine eine Produktbeschreibung, stellt ihr eine Palette mit Rohlingen hin, dann macht die alles selber: rüstet sich ein und um, produziert, wechselt abgenutzte Werkzeuge, verpackt die fertigen Produkte und sagt Bescheid, wenn sie fertig ist. Je nachdem, wie komplex die Fertigungsprozesse sind, hat der Mensch als Beobachter überhaupt keine Chance, den Überblick zu gewinnen. Dafür bedarf es völlig neuer Kommunikationsstrategien zwischen ihm und der Maschine.
In Übersetzungsprozessen gibt es ähnliche Phänomene, Abhängigkeiten und Probleme. Ganz klassisch, weiß ein Übersetzer oft nicht, in welchem Kontext er sich befindet. Oder ganz modern, sind die Resultate der maschinellen Übersetzung zwar fragwürdig – aber das Warum ist bei neuronalen Systemen gar nicht wirklich zu beantworten. Oder noch moderner: Eine Fachabteilung hat es geschafft, sich als zentrales Übersetzungsmanagement im Unternehmen zu etablieren – aber der Erfolg wird auch zum Fluch und es werden dringend systemische Unterstützungen benötigt – nicht nur Steuerungen, sondern Regelungen, möglichst mächtig, flexibel und schlau.